Lexikon der Geowissenschaften: Brachiopoda
Brachiopoda, Armfüßer, bilateral-symmetrische, nicht segmentierte, ausschließlich marine Tiere mit zweiklappiger Schale. Die Klappen sind im Gegensatz zu den Muscheln immer ungleich. Das Innere der Schale wird zum größten Teil von zwei mit Tentakeln besetzten Armen (Lophophoren) eingenommen. Sie dienen dem Herbeistrudeln von Nahrungspartikeln. Die meisten Brachiopoden sind mit einem Stiel am Substrat festgewachsen. Eine systematische Untergliederung in Klassen erfolgt aufgrund von verschiedenen Artikulationsformen der Klappen (Inarticulata ohne Schloß, Articulata mit Schloß). Diese Systematik wird hier bevorzugt, obwohl neuerdings Unterschiede in der Schalensubstanz stärker bewertet worden sind. Brachiopoden sind seit dem Unterkambrium nachgewiesen; ein Großteil der etwa 1700 fossilen Gattungen gehört in das Paläozoikum, rezent sind nur noch ca. 70 Gattungen bekannt.
Die Inarticulata sind schloßlose Brachiopoden mit chitinophosphatischen, teilweise auch kalkigen Klappen ohne kalkiges Armgerüst. Die Artikulation der Klappen übernimmt ein kompliziertes System aus verschiedenartigen Muskeln, fossil überliefert durch entsprechende Muskulaturansatzstellen an den Klappeninnenseiten. Die Blütezeit ist im Altpaläozoikum, danach sind sie rückläufig. Die rezente Gattung Lingula ist seit dem Ordovizium bekannt ("lebendes Fossil").
Die Articulata (Abb. 1) sind Brachiopoden mit stabilem Schloß und verschiedenartig gebautem, für die weitere systematische Gliederung wichtigem Armgerüst (Brachidium), welches am hinteren Ende der Armklappe ansetzt. Wo die größere Stielklappe mit ihrem Wirbel in Richtung auf die Gegenklappe umbiegt, befindet sich das – ebenfalls taxonomisch bedeutsame, weil vielfach modifizierte – Stielloch. Die beiden Schloßzähne greifen in entsprechend geformte Zahngruben, wodurch ein verwindungsfestes Scharnier erzeugt wird. Kräftige Schließmuskeln greifen an den Innenseiten beider Klappen an und können diese aneinanderziehen und hermetisch gegen die Außenwelt abschließen. Ihre Antagonisten sind die Öffnermuskeln, mit Befestigungspunkten an der Stielklappe und am Kardinalfortsatz der Armklappe. Durch Kontraktion der Stielmuskeln (mit Ansatzstellen an der Stielklappe) kann sich das Tier eng an den Untergrund anschmiegen.
Neben den bisher genannten Merkmalen sind für die Systematik und Beschreibung von Brachiopoden u.a. wesentlich Form und Feinbau der Klappen sowie Skulpturmerkmale. Danach lassen sich die folgenden Ordnungen unterscheiden ( Abb. 2 ):
- Orthida: bikonvexe Klappen, Schloßrand normalerweise geradgestreckt und sehr breit; Unterkambrium bis Oberperm.
- Strophomenida: Stielklappe konvex, Armklappe konkav oder planar; Schloßrand breit und geradgestreckt, Stielloch normalerweise geschlossen, oft mit Stacheln am Vorderrand; Unterordovizium bis Unterjura.
- Pentamerida: Klappen bikonvex, außen meist glatt, mit einem speziellen Medianseptum der Stielklappe und häufig zwei kalkigen Blättern der Armklappe; Mittelordovizium bis Oberdevon.
- Rhynchonellida: bikonvexe, oft annähernd kugelförmige Schalen mit meist groben Rippen, welche an der Berührungslinie beider Klappen zickzackförmig aufeinandertreffen. Die Armgerüste bestehen aus kurzen Kalkblättern (Cruren), deren Lage und Form für genauere systematische Zuordnungen wichtig sind. Es gibt sie seit dem Mittelordovizium.
- Spiriferida: bikonvexe, am Schloßrand oft besonders breitgestreckte Schalen; seitwärts gerichtete, spiralförmige Armgerüste; oberes Ordovizium bis Jura.
- Terebratulida: bikonvex, mit kurzem, gerundetem Schloßrand und rundem Stielloch sowie schleifenförmigem Armgerüst; seit Unterdevon.
Die heutigen Brachiopodenarten leben sowohl in intertidalen Gezeitentümpeln als auch in der Tiefsee, bevorzugen aber den äußeren Schelf. Kambrische Vertreter waren auf Flachwasserhabitate beschränkt, doch bereits im Ordovizium wurden sämtliche Schelflebensräume besiedelt. Generell dominieren Formen mit einfachem Lophophorenbau (Orthiden, Strophomeniden, Rhynchonelliden) die Flachwasserareale, während die Pentameriden, Atrypiden und Spiriferiden als besonders leistungsfähige Nahrungsstrudler auch nährstoffärmere Bereiche des tieferen Wassers einnehmen konnten. Viele Strophomeniden waren mit ihren großflächigen, wenig voluminösen Schalen an das Leben auf Weichböden angepaßt, während Formen mit dicken, grobberippten Schalen und kräftigem Stiel Bereiche höherer Strömungsniveaus bevorzugten. Brachiopoden lassen sich demnach oft als verlässliche Faziesanzeiger interpretieren, außerdem sind sie für einige erdgeschichtliche Abschnitte (besonders Paläozoikum) und insbesonders für solche Regionen als Leitfossilien geeignet, in denen landferne Ablagerungen mit entsprechenden Ortholeitfossilien fehlen. [MG]
Literatur: [1] LEHMANN, U. & HILLMER, G. (1997): Wirbellose Tiere der Vorzeit. – Stuttgart. [2] ZIEGLER, B. (1998): Einführung in die Paläobiologie, Teil 3: Spezielle Paläontologie. – Stuttgart.
Brachiopoda 1: Weichkörperorganisation (schematisiert), Gehäuseorientierung und wichtige Klappenmerkmale am Beispiel der Articulata Magellania flavescens; a) schematisierter Mittelteil, b) dorsale Schalenansicht, c) laterale Schalenansicht, d) Innenansicht der Stielklappe, e) Innenansicht der Armklappe. Brachiopoda 1:
Brachiopoda 2: Gruppenübersicht und stammesgeschichtliche Entwicklung der Articulata. Brachiopoda 2:
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